Mit 18 im Chefsessel? Für viele Jugendliche ist das keine Illusion mehr. Von der wechselbaren Bambuszahnbürste bis zum eigenen Vintageladen: Warum junge Menschen ohne Ausbildung ihr eigenes Unternehmen gründen und wie es ihnen dabei geht.
Auf der anderen Seite des Main, abseits von Würzburgs Innenstadt, haben Konrad Oertel und Felicitas Jander (beide 21) eine Heimat für ihren Laden gefunden. Und sich ihren Traum von Freiheit und Kunst erfüllt. Zwischen einem Fahrradladen und einer Werkstatt für Vespas, mitten im Gewerbegebiet der Zellerau, liegt das „Kapitel II“. Für Konrad und Fee, wie sie hier jede*r nennt, mehr als „nur“ ein Second-Hand-Laden: Sie wollen hier mit Kreativabenden, Kunstprojekten oder Konzerten einen Ort der Begegnung schaffen, der ihnen in der Stadt bislang gefehlt hat. „Viele Künstler*innen ziehen in die großen Städte wie Berlin, weil Kleinstädte immer unattraktiver werden. Dem wollen wir entgegenwirken“, erklärt Konrad. Auf den 150 Quadratmetern Fläche finden so unter anderem auch ein Ton- und Tattoo-Studio Platz, das sie an Künstler*innen untervermieten.
„Ich hatte Lust etwas aktiv anzupacken“ – Konrad Oertel, Gründer Kapitel II




Die Idee mit dem Laden hatte Konrad schon vor seinem Abitur im Sommer 2019: „In Würzburg gab es nicht so wirklich viele Vintageläden, das war eine Geschäftslücke.“ Für ihn war auch klar, dass er kein Studium oder eine Ausbildung machen möchte: „Ich hatte Lust etwas aktiv anzupacken, das mit dem Laden war alles so real“, erzählt Konrad. Als er Felicitas beim Feiern im Club durch gemeinsame Freunde kennenlernt und ihr von seiner Idee erzählt, ist sie sofort begeistert und sagt: „Lass uns das zusammen machen!“ Gesagt, getan: Konrad meldet das Gewerbe an, die beiden finden nach monatelanger Suche die passende Ladenfläche, sehen sich nach Großhändlern um, kaufen eine Kasse, bauen mit Freunden die Möbel. Am 18. Januar 2020 eröffnen sie ihr Geschäft.


Mit der eigenen Idee durchstarten, etwas verändern wollen, unabhängig sein – damit sind Felicitas und Konrad in ihrem Alter nicht allein. Laut dem Institut für Mittelstandsforschung Bonn gründeten 7,9 Prozent der Frauen und 8,9 Prozent der Männer zwischen 18 bis 24 Jahren im Jahr 2019 ein Unternehmen. Doch wie kommt man darauf, sich ohne Ausbildung selbständig zu machen? „Die meisten haben eine Idee, für die sie brennen. Gleichzeitig wollen viele einfach mehr erreichen und strotzen nur so vor Energie und Enthusiasmus“, sagt Johannes Weber. Er ist Geschäftsführer von „4vestor“, ein Münchner Unternehmen, das junge Menschen bei der Gründung berät und hier mit der Agentur für Arbeit kooperiert. „Wir können, wenn es arbeitsmarktlich sinnvoll ist, einen arbeitslosen Bewerber bei seiner Gründung mit einem Gründungszuschuss fördern“, so Susanne Eikemeier, Pressereferentin der Bundesagentur für Arbeit. Dazu müssten Bewerber*innen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und zeigen, dass ihr neues Unternehmen erfolgversprechend ist. Aber: „Sich professionelle Hilfe zu suchen, liegt den meisten jungen Gründern nicht so. Sie wollen vor allem schnell, schnell vorwärts und da braucht man keinen Berater, der auf die Bremse drückt“, meint Johannes Weber. Im Fall von Konrad und Felicitas hat es ohne Beratung geklappt: „Wir haben uns das angeguckt, aber das war nicht die Art, auf die wir es machen wollten. Wir haben nichts durchgeplant – ‚einfach drauf los‘ – und sind bisher erstaunlich wenig auf die Nase gefallen“, sagt Konrad und stellt fest: „Man muss keine fertige kaufmännische Ausbildung haben, um einen Laden aufzumachen.“ Das Paar hat viel Unterstützung aus der Familie und dem Freundeskreis erfahren: Startkapital vom Opa, den Onkel als Finanzberater und Freunde zum Anpacken.
„Die meisten haben eine Idee, für die sie brennen. Gleichzeitig wollen viele einfach mehr erreichen und strotzen nur so vor Energie und Enthusiasmus“ – Johannes Weber, Geschäftsführer „4vestor“
Bei Tobias Weiskopf (23) aus dem Landkreis Freising lief das anders. Als er sein Unternehmen „juvela“ – eine Agentur für Jugendarbeit – bereits während dem Abitur mit 18 Jahren gründet, nimmt er die kostenlosen Beratungsangebote der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Anspruch. „Ich war sehr froh bei dem Dschungel des Bürokratiewahnsinns von Buchhaltung bis Steuererklärung unterstützt zu werden“, so Tobias. Die IHK fördert Gründer*innen mit individuellen Gesprächen und Vorträgen über Themen wie Businessplan, Recht und Steuern oder der Finanzierung, erklärt Catherine Schrenk, Betriebswirtschaftliche Beraterin der IHK München und Oberbayern. Auch wenn die IHK junge Gründer*innen in ihren Ideen grundsätzlich ermutigt, rät sie trotzdem zu einer Ausbildung nach der Schule: „Das ist eine sehr gute Basis, denn man weiß nie, was in der Zukunft passiert und ob sich das Unternehmen bewährt“, so Schrenk.
„Ich war sehr froh bei dem Dschungel des Bürokratiewahnsinns von Buchhaltung bis Steuererklärung unterstützt zu werden“ – Tobias Weiskopf, Gründer von „juvela“
Das hat sich auch Andrija Vuksanovic (19), Geschäftsführer des IT-Startups „Titanom“, zu Herzen genommen. Der Germeringer, der bereits mit elf Jahren programmierte, führt ein Softwareunternehmen mit zwölf Angestellten und studiert nebenbei noch Wirtschaftsinformatik an der TU München. „Ich war schon immer ein sehr getriebener Mensch mit hohem Tatendrang, wollte mich weiterbilden und hatte Lust etwas zu machen, Dinge zu Ende zu bringen“, beschreibt Andrija seine Motivation das Unternehmen zu gründen – auch wenn es ihn bereits viele schlaflose Nächte gekostet hat. „Ich kann nicht problemlos abschalten. Es gab eine Zeit, da habe ich vier Monate am Stück von morgens bis abends gearbeitet, das ist natürlich eine Belastung für die persönlichen Beziehungen, Freunde fallen weg, man muss bluten können“, erzählt er.
„Man muss bluten können“ – Andrija Vuksanovic, Geschäftsführer „Titanom“
Ähnlich wie Andrija kombiniert auch Alexandar Antica (21) Startup und Studium. Nach seinem Abitur ist der Gaimersheimer nach Berlin gezogen – in aller erster Linie, um dort die Startup-Szene zu erkunden. Und um nebenbei Betriebswirtschaftslehre an der HWR zu studieren. Bereits im ersten Semester entwickelt er die Idee für sein eigenes Startup: eine nachhaltige Bambuszahnbürste mit wechselbarem Aufsatz, ähnlich wie bei elektrischen Zahnbürsten, um so dem Bambusschwund vorzubeugen. „Ich wollte einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, es sollte nicht nur um mich gehen“, so Alexandar. Sein Antrieb: Grenzenlosigkeit. Und das Gefühl, dass Ziele real werden. „Jetzt ist die beste Zeit, um auszuprobieren, hinzufallen und wieder aufzustehen“, sagt der 21-Jährige – und hat bereits die nächsten Ideen im Kopf.
„Jetzt ist die beste Zeit, um auszuprobieren, hinzufallen und wieder aufzustehen“ – Alexandar Antica, Startup-Gründer „My Bambio“
Auch Konrad und Felicitas sehen ihren Vintageladen eher als „Projekt für jetzt“ und würden ihn in ein paar Jahren gerne weitergeben und sich dann neuen Dingen widmen. „Vielleicht Mode selber machen, Filmmusik produzieren oder einen sozialen Beruf erlernen“, meint Konrad. Und Fee? „Etwas komplett Neues ausprobieren, in eine Großstadt gehen und irgendwann ein Wohnprojekt mit verschiedenen Generationen auf einem Bauernhof starten.“