Die unvorhersehbaren Konsequenzen der Erderwärmung: Soziale Folgen und Klimakriege (Teil 2)

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Bild: Pixabay (slowdef)

Klimakriege – wie und wodurch entstehen sie? 

Die ökologischen Konsequenzen der Erderwärmung verursachen soziale und politische Probleme, deren Ausmaße kaum einzuschätzen sind. Statistische Vorhersagemodelle zum Anstieg der Durchschnittstemperaturen geben keine Auskunft über das Verhalten der Menschen, die unter den ökologischen Folgen der Bodenerosion leiden, oder deren Heimat aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels in 50 bis 100 Jahren verschwunden ist, oder über das Verhalten von Menschen in Regionen, wo die Menge an Niederschlag seit Jahren zurückgeht und ausgetrocknete Seen und Flüsse, die ursprünglich als natürliche Grenzlinien fungierten, zu Grenzkonflikten zwischen benachbarten Staaten führen.

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Welzer (2010) nennt an dieser Stelle den Bürgerkrieg in Darfur, dessen Ursachen nachweislich auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Anhaltende Dürreperioden und die zunehmende Überweidung sensibler Naturregionen, wie der Sahelzone, führten in weiten Teilen des Landes zu Bodendegradationen und der Unbrauchbarkeit von Weideflächen. Dadurch hat sich die Wüste in den letzten 40 Jahren um rund 100 km ins Landesinnere ausgebreitet. Arabische Viehzüchter wurden unfreiwillig zu Nomaden und trieben ihre Herden in Richtung Süden, durch die Ländereien afrikanischer Bauern, da sie sich dort bessere Bedingungen für ihr Vieh erhofften. Für die sesshaften Bauern wurden die Nomaden zunehmend zu einer Bedrohung, somit wurde der Zugang zu Feldern und Weiden gesperrt, um die Ernte zu sichern (Prunier, 2007).

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Bild: Pixabay (TheDigitalArtist)

Ein als ethnisch wahrgenommener Konflikt zwischen Arabern und Afrikanern entbrannte, dessen Ursachen jedoch auf ökologische Veränderungen zurückzuführen sind. Der bis heute anhaltende Krieg kostete Hundertausende das Leben und machte 2,5 Millionen Menschen zu Flüchtigen (Ruhr Universität Bochum, 2016). Das United Nations Environment Programme stellte 2007 fest, dass ein beständiger Frieden in Darfur nur dann wahrscheinlich ist, wenn sich die Umwelt- und Überlebensbedingungen verändern. Ein Teufelskreis, da die Dürreperioden und Bodenerosionen durch den Klimawandel verstärkt werden und die Desertifikation beschleunigen, was wiederum die Zahl der Migranten ansteigen lässt und zu neuen Konflikten führt.

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Bild: Pixabay (Alexas_Fotos)

In seinem Film „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“ zieht der Vize-Präsident Al Gore ebenfalls eine Verbindung zwischen dem Klimawandel und dem Bürgerkrieg in Syrien. Er stützt sich hierbei auf eine umfassende Studie der National Academy of Science (Kelley, Mohtadi, Cane, Seager & Kushnir, 2015). Das Land erlebte demnach von 2006 bis 2010 die längste und schwerste klimabedingte Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 200000 Menschen starben, 60 % der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen wurde zerstört und 80% des Viehbestands verendete. 1,5 Millionen Syrer waren dazu gezwungen ihre Heimat zu verlassen und in eine ungewisse Zukunft zu fliehen, um das Überleben ihrer Familien zu sichern.

Die sozialen Folgen des Klimawandels

An den Küsten von Gibraltar, Andalusien, Sizilien und Teneriffa trafen in den letzten Jahren immer mehr überfüllte Flüchtlingsboote ein, was in den europäischen Mitgliedsstaaten ein zunehmendes Gefühl der Bedrohung hervorrief und zur Bildung der Organisation „Frontex“ (Frontieres Exterieures) führte, welche die Überwachung der Außengrenzen der Europäischen Union effizienter gestalten sollte. Somit werden privilegierte Staaten, die nicht direkt unter den ökologischen Konsequenzen der Erderwärmung leiden, zunehmend durch soziale Folgen des Klimawandels tangiert, da es von Jahr zu Jahr mehr Menschen gibt, deren Lebensgrundlagen schwinden und die an den Überlebenschancen wohlhabender Länder teilhaben wollen.

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Die Bildung von Frontex im Jahr 2005 zeigt, dass die erste Reaktion auf Massenmigrationen Gewalt ist. Seit dem Jahr 2000 sind in den Einsatzgebieten europäischer Grenzschützer mindestens 23000 Flüchtlinge gestorben. Das hochentwickelte Überwachungsprogramm „Eurosur“, das mittels Drohnen und Satelliten versucht Flüchtlingsboote aufzuspüren, sieht seine primäre Aufgabe nicht in der Seenotrettung, sondern darin, die illegale Migration zu bekämpfen (Pro Asyl, 2014). Frontex geriet aufgrund der Verletzung von Menschenrechten daher immer wieder in die Kritik und zu Beginn wurden Nachrichten über das Sterben von Bootsflüchtigen mit Entsetzen und Empören aufgefasst, jedoch fand auch hier der unbewusste Vorgang von „Shifting Baselines“ statt – die Arbeit von Frontex wird heute als notwendig und der Tod von Flüchtlingen als unausweichlich angesehen. „Shifting Baselines“ verändern die Wahrnehmung von Problemen und die Akzeptanz von Lösungsmaßnahmen. Normen verschieben sich und führen zu einer zunehmenden Legitimierung von Gewalt (Welzer, 2010, S.248).

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So gesehen hat man es hier wieder mit einer unterbrochenen Beziehung zwischen Handlung und Handlungsfolge zu tun. Die Industrienationen haben in der Zeit der Kolonialisierung in Afrika die natürlichen Strukturen der Völker zerstört und durch Gewalt, Ausbeutung und Sklaverei Desorganisation und Chaos hinterlassen. Dadurch wurde ein Nährboden für korrupte, politische Strukturen geschaffen, die eine elitäre Minderheit bevorteilt und die Mehrheit der Bevölkerung ausbluten lässt. Innerstaatliche Konflikte werden zu Dauerkriegen und durch extreme Wetterereignisse noch verschlimmert.

Darüber hinaus bekommen die Folgen der Erderwärmung ironischerweise nicht die Verursacher des Klimawandels zu spüren, sondern gerade die ärmsten Länder dieser Welt. Gleichzeitig beklagt man sich an den Grenzen Europas über Flüchtlingswellen und übersieht, dass die Ursachen hierfür in unserer Vergangenheit liegen. „Das soziale Klima ist komplexer als das physikalische […] Klimaveränderungen wirken in zwei Richtungen: Sie können Gewaltkonflikte hervorrufen oder bestehende Konfliktlagen vertiefen. Zudem können sie durch Interaktionen, Kumulierungen und indirekte Verkettungen unerwartete Folgen hervorrufen. […] Es gibt Klimakriege, es wird getötet, gestorben, geflohen. Empirisch besteht nicht der mindeste Grund zu glauben, dass die Welt so bleibt, wie wir sie kennen.“ (Welzer, 2010, S.249).

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Bild: Pixabay (Benita5)“

„Es ist an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen“

Durch die Mechanismen der kognitiven Dissonanz fällt es uns leicht, diese Horrorszenarien zu verdrängen. Sie liegen in ferner Zukunft, womöglich werden sie unsere Generation gar nicht mehr betreffen. Außerdem müssen Prognosen sich nicht zwangsläufig bewahrheiten. Erst einem Hurrikan der Stärke fünf, dessen zerstörerische Kraft die westliche Zivilisation mit voller Wucht trifft, ist es möglich die Diskussionen um den Klimawandel neu zu entfachen. Hurrikan „Irma“ hat im September 2017 in Florida eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und wartete mit rekordverdächtigen Extremwerten auf. Meteorologen mussten lange in ihren Wetteraufzeichnungen suchen, um Hurrikane mit vergleichbaren Werten ausfindig zu machen.

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Der Hurrikan „Irma“ sorgte im September 2017 für Chaos und Zerstörung in vielen Karibikstaaten sowie in Florida in den USA.   Bild: Pixaby (paulbr75)

„Ist das nun der Klimawandel?“ – Jein. Experten sind sich einig, dass der Klimawandel nicht zu einem häufigeren Auftreten von Hurrikanen führt, allerdings ändert sich die Intensität dieser Wirbelstürme. Hurrikane bilden sich über dem Meer und bekommen ihre Energie durch erhöhte Wassertemperaturen (> 26,5 Grad). Das karibische Meer vor der Westküste Floridas wies ungewöhnlich hohe Wassertemperaturen auf, welche teilweise bis zu 80m in die Tiefe reichten. Künftige Hurrikane werden daher auch deutlich höhere Geschwindigkeiten aufweisen, da sie mehr Energie durch ansteigende Wassertemperaturen ziehen können. Unsere Ozeane haben sich in den letzten 60 Jahren 15mal so schnell erhitzt, als bei jeder natürlichen Temperaturschwankung der letzten 10.000 Jahre. Der Klimawandel ist somit nicht für das Auftreten solcher Naturgewalten verantwortlich, aber für deren Stärke und schlimmer werdende Folgen der Zerstörung (Rosenthal, Linsley & Oppo, 2013; Spiegel Online, 2017).

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Bild: Pixabay (RitaE)

Naturgewalten dieser Art haben somit das Potential, uns die verheerenden Folgen des Klimawandels direkt vor Augen zu führen. Um die psychologischen Gründe für unser „Nicht-Handeln“ zu überbrücken muss die Brisanz dieser Thematik erst einmal in unser Bewusstsein rücken. Es ist an der Zeit Verantwortung zu übernehmen, für die Fehler der Generationen vor uns und das Wohlbefinden der Generationen nach uns. Die Handlungsohnmacht kann umgangen werden, indem man sich bewusst macht, dass der einzelne Verbraucher in der Summe sehr wohl Veränderungen hervorrufen kann.

„Da die Astronomie noch keine kolonisierbaren Planeten in Reichweite anbieten kann, kommt man um die ernüchternde Feststellung nicht herum, dass die Erde eine Insel ist. Man kann nicht weiterziehen, wenn das Land abgegrast und die Rohstoff-Felder abgebaut sind“ (Welzer, 2010, S.14).

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„Es gibt nur diese eine Erde.“   Bild: Pixabay (qimono)

 

Autor: Jana Schindler (Gastbeitrag)

Quellen:

Festinger, L. (1962). A theory of cognitive dissonance (Vol. 2). Stanford university press.

Kelley, C. P., Mohtadi, S., Cane, M. A., Seager, R., & Kushnir, Y. (2015). Climate change in
the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. Proceedings of the National Academy of Sciences, 112(11), 3241-3246.

Pro Asyl (2014). Neue Schätzung: Mindestens 23000 Tote seit dem Jahr 2000. Verfügbar unter:https://www.proasyl.de/news/neue-schaetzung-mindestens-23-000-tote- fluechtlinge-seit-dem-jahr-2000/ (Stand: 12.09.17)

Prunier, G. (2007). Darfur. Der» uneindeutige «Genozid. Hamburg.

Rosenthal, Y., Linsley, B. K., & Oppo, D. W. (2013). Pacific ocean heat content during the past 10,000 years. Science, 342(6158), 617-621.

Roser-Renouf, C., Maibach, E., Leiserowitz, A., & Rosenthal, S. (2016). Global Warming’s Six Americas and the Election, 2016. Yale University and George Mason University. New Haven, CT: Yale Program on Climate Change Communication.

Ruhr Universität Bochum. (2016). Darfur, der schillernde Konflikt. Verfügbar unter: http://news.rub.de/presseinformationen/wissenschaft/2016-09-09-diaspora-und- genozidforschung-darfur-der-schilllernde-konflikt (Stand: 10.09.17)

Saenz-Arroyo, A., Roberts, C., Torre, J., Carino-Olvera, M., & Enríquez-Andrade, R. (2005). Rapidly shifting environmental baselines among fishers of the Gulf of California. Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences, 272(1575), 1957- 1962.

Spiegel Online (2017). Hurrikan „Irma“. Möge Gott uns alle beschützen. Verfügbar unter: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/hurrikan-irma-was-die-wissenschaft-ueber- den-sturm-weiss-a-1166392.html (Stand: 15.09.2017)

United Nations Environment Programme (UNEP): Sudan. Post-Conflict Environmental Assessment, Nairobi 2007.

Welzer, H. (2010). Klimakriege: wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. 2.A. Frankfurt: S. Fischer Verlag.