Psychologische Erklärungsansätze des „Nicht-Handelns“: Warum fällt es uns so schwer, unsere Einstellungen und Verhaltensweisen zu ändern?

Im Juni 2017 verkündete US-Präsident Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen, eine internationale Klimaschutzvereinbarung, der rund 190 Staaten angehören. Diese haben das gemeinsame Ziel vor Augen, die Erderwärmung im Schnitt auf maximal zwei Grad Celsius zu beschränken. Die Entscheidung Trumps repräsentiert die Haltung vieler US-Bürger zum Klimawandel: Jeder Fünfte äußert Zweifel am Klimawandel oder lehnt diesen gänzlich ab, während lediglich 17 Prozent die Erderwärmung als alarmierend einstufen (Roser-Renouf, Maibach, Leiserowitz & Rosenthal, 2016).
Wie kann man sich diese Haltung erklären, angesichts der Häufung und Dimensionen extremer Wetterereignisse, die in Form von Tornados oder Hurrikanen auch die Vereinigten Staaten heimsuchen? Der Sozialpsychologe Harald Welzer (2010) schildert in seinem Buch „Klimakriege“ unter anderem Erklärungsansätze für widersprüchliche Verhaltensweisen in Bezug auf den Klimawandel, welche auf psychologischen Theorien beruhen und im Folgenden kurz erläutert werden.

Innere Konflikte und kognitive Dissonanz: Warum wir trotzdem weiter in den Urlaub fliegen und unseren Lebensstil nicht einschränken
Am Beispiel der USA könnte das Konstrukt der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1962) zum Tragen kommen. Tatsächlich eintretende Ereignisse, wie langandauernde Trockenphasen in Kalifornien, schmelzende Gletscher in den Rocky Mountains oder regelmäßige Überschwemmungen in Küstengebieten unterstützen die Theorie des Klimawandels, jedoch würde dies bedeuten, den verschwenderischen, amerikanischen Lebensstil zu ändern – das moralisch vertretbare Verhalten stimmt demnach nicht mit dem aktuellen Verhalten überein und Berichte über den Klimaeffekt stehen im Kontrast zum eigenen, nicht klima-gerechten Verhalten, was zu einem inneren Konflikt führt.
Um das Gefühl dieser Dissonanz zu reduzieren, kann man verschiedene Strategien anwenden. Der einfachste Weg ist es, den Klimawandel zu negieren, indem man ihn beispielsweise als die Erfindung Chinas umdeutet. Wenn etwas nicht existiert, muss man sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen und kann wieder guten Gewissens den großvolumigen 12 Zylinder spazieren fahren.
Dissonanzreduktion hat jedoch verschiedene Gesichter. Auch Menschen, die an den Klimawandel glauben, geben keineswegs bereitwillig ihre eingefahrenen und bequemen Verhaltensweisen auf, um die Erderwärmung abzumildern. Es wird trotzdem noch in den Urlaub geflogen, mit dem einzigen Unterschied, dass dies nun mit schlechtem Gewissen geschieht. „Es kann schon genügen, ein Bewusstsein über das Problem zu haben, was einem suggeriert, dass man ihm nicht gleichgültig oder gedankenlos oder gar ohnmächtig gegenübersteht. Man ändert also seine Einstellung zum Problem und nicht seine Ursache“ (Welzer, 2010, S.27). Der innere Spannungskonflikt wird hier reduziert, indem man sich beispielsweise vornimmt, das letzte Mal in einen Flieger zu steigen, sich die Solarkollektoren auf dem Garagendach ins Gedächtnis ruft, oder seinen Lebensstil mit dem Anderer vergleicht und feststellt, dass der eigene CO2-Fußabdruck im Verhältnis dazu noch ganz akzeptabel ist.

Verantwortungsbewusstsein: „Nach uns die Sintflut“
Diese Gedankenvorgänge werden durch ein fehlendes Verantwortungsbewusstsein bezüglich der Problematik des Klimawandels verstärkt. Laut Welzer (2010) findet die Übernahme von Verantwortung nur dann statt, wenn eine zeitliche Nähe zwischen der Ursache und der Folge einer Handlung besteht. Die eigentlichen „Verursacher“ des Klimawandels können oft nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da sie nicht mehr unter den Lebenden weilen und die heute eintretenden Folgen damals nicht vorhersehen konnten.
Darüber hinaus besteht für die heutigen Generationen keine Garantie, dass die empfohlenen Klimaschutzmaßnahmen eine bedeutsame Wirkung zeigen, von denen, abgesehen davon, erst die Generationen nach uns profitieren würden. „Einer im Jahr 2007 lebenden 40jährigen Person wird eine Verantwortung für ein Problem zugeschrieben, dessen Verursachung zeitlich vor ihrer Geburt und dessen Lösung nach ihrem Tod lokalisiert ist, weshalb sie weder auf die Verursachung noch auf die Lösung direkt Einfluss nehmen kann“ (Welzer, 2010, S.32).
Die Ursache-Folgen-Kette des Klimawandels ist demnach generationsübergreifend, was die Erfahrbarkeit der Problematik erschwert und neben dem daraus resultierenden Gefühl der Nicht-Verantwortlichkeit auch zu einer absinkenden Handlungsmotivation führt. Diese fehlende Motivation wird darüber hinaus durch die geringe Kontrollierbarkeit von Umweltproblematiken bedingt. Während einige Industriestaaten allmählich aufwachen und auf nachhaltiges Wachstum umsatteln, beharren Schwellenländer auf ihrem Recht, die gleichen Fehler begehen zu dürfen, wie sie einst andere Nationen vor ihnen begangen haben, um ein uneingeschränktes, wirtschaftliches Wachstum zu erlangen.
Problematiken wie Ressourcenverbrauch und Umwelt- verschmutzung werden dadurch verstärkt und machen die einzelnen, lokalen Bemühungen fortschrittlich denkender Nationen zu Nichte. Das Gefühl, als einzelner Akteur nichts bewirken zu können, macht sich breit, man steht dem Problem ohnmächtig und handlungsunfähig gegenüber, daraus resultiert eine geringe Bereitschaft, sein Verhalten zu ändern, da die positiven Effekte ungewiss sind.

Shifting Baselines: Wir nehmen nur wahr, was zu unserem Referenzrahmen passt
Ein weiteres, sozialpsychologisches Phänomen, welches die teilweise indifferent scheinenden Einstellungen dem Klimawandel gegenüber erklären könnte, nennt sich „Shifting baselines“. Menschen empfinden den aktuellen Zustand ihrer Lebens- und Erfahrungszeit immer als natürlich und normal, da sich die Orientierungspunkte, an denen unsere Wahrnehmungen festgemacht werden, schleichend und unmerklich verschieben.
Welzer (2010) erwähnt in diesem Zusammenhang eine Studie zur Einschätzung des Fischbestandes kalifornischer Fischer (Saenz-Arroyo, Roberts, Torre, Carino-Olvera & Enriquez-Andrade, 2005). Hierbei wurden drei Fischer-Generationen zur Vielfalt, Größe und Vorkommen der hiesigen Fischarten befragt. 80 Prozent waren der Meinung, dass die Bestände insgesamt zurückgegangen seien, jedoch unterschied sich die Wahrnehmung hierzu deutlich von Generation zu Generation. Während die älteste Gruppe noch 11 Arten benennen konnte, die vor der Küste nicht mehr auftauchten, zählte die jüngste Gruppe nur zwei Fischarten auf. Daher gaben auch lediglich 10 Prozent der jungen Fischer an, dass Bestände gänzlich verschwunden seien. Kaum einer von ihnen wusste, dass die Generationen vor ihnen noch in unmittelbarer Küstennähe fischen konnten, in ihrer Erfahrungswelt hat es dort niemals Fische gegeben, daher wurde die Brisanz der Überfischung auch wesentlich geringer eingeschätzt, als durch die ältere Generation.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Verschiebung der Wahrnehmung und Bewertung von Orientierungspunkten den Umgang mit Umweltproblematiken erheblich erschweren kann. In Bezug auf den Klimawandel heißt das, dass immer wärmer werdende Winter, früher einsetzende Sommer oder extreme Wetterereignisse anfangs mit höherer Intensität wahrgenommen werden, anschließend wird der Nachrichtenwert und die Aufmerksamkeit zurückgehen, und die Verschiebung wird in unserer Wahrnehmung allmählich selbstverständlich. „Man hält zunehmend für ‚natürlich’, was eigentlich wenig mit der Natur zu tun hat“ (Welzer, 2010, S.214).
Das Augenmerk des Autors liegt jedoch nicht auf der Gewöhnung an ökologische Folgen des Klimawandels, sondern vielmehr auf dadurch entstehende soziale Probleme, die in den aktuellen Debatten um den Klimawandel oftmals zu kurz kommen. Durch die Verschiebung der Küstenlinien, voranschreitende Versteppung und Wüstenbildung oder Häufung von Extremwetterereignissen wird weltweit immer mehr Menschen die Existenzgrundlage entzogen. Innerstaatliche Konflikte, Bürgerkriege und Massenmigrationen, die direkt mit den Folgen der Erderwärmung in Zusammenhang stehen, führen zu einer neuen Dimension der Kriegsführung.

Autor: Jana Schindler (Gastbeitrag)
Quellen:
Festinger, L. (1962). A theory of cognitive dissonance (Vol. 2). Stanford University press.
Kelley, C. P., Mohtadi, S., Cane, M. A., Seager, R., & Kushnir, Y. (2015). Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. Proceedings of the National Academy of Sciences, 112(11), 3241-3246.
Pro Asyl (2014). Neue Schätzung: Mindestens 23000 Tote seit dem Jahr 2000. Verfügbar unter: https://www.proasyl.de/news/neue-schaetzung-mindestens-23-000-tote-fluechtlinge-seit-dem-jahr-2000/ (Stand: 12.09.17)
Prunier, G. (2007). Darfur. Der» uneindeutige «Genozid. Hamburg.
Rosenthal, Y., Linsley, B. K., & Oppo, D. W. (2013). Pacific ocean heat content during the past 10,000 years. Science, 342(6158), 617-621.
Roser-Renouf, C., Maibach, E., Leiserowitz, A., & Rosenthal, S. (2016). Global Warming’s Six Americas and the Election, 2016. Yale University and George Mason University. New Haven, CT: Yale Program on Climate Change Communication.
Ruhr Universität Bochum. (2016). Darfur, der schillernde Konflikt. Verfügbar unter: http://news.rub.de/presseinformationen/wissenschaft/2016-09-09-diaspora-und-genozidforschung-darfur-der-schilllernde-konflikt (Stand: 10.09.17)
Saenz-Arroyo, A., Roberts, C., Torre, J., Carino-Olvera, M., & Enríquez-Andrade, R. (2005).Rapidly shifting environmental baselines among fishers of the Gulf of California. Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences, 272(1575), 1957-1962.
Spiegel Online (2017). Hurrikan „Irma“. Möge Gott uns alle beschützen. Verfügbar unter: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/hurrikan-irma-was-die-wissenschaft-ueber-den-sturm-weiss-a-1166392.html (Stand: 15.09.2017)
United Nations Environment Programme (UNEP): Sudan. Post-Conflict Environmental Assessment, Nairobi 2007.
Welzer, H. (2010). Klimakriege: wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. 2.A. Frankfurt: S. Fischer Verlag.