Nurullah will arbeiten

34-jähriger Afghane darf trotz Ausbildungsvertrag keine Schneiderlehre machen
Gescheiterte Ausbildung: Ab dem 1. Januar wollte Nurullah (r.) von Gabi Urban das Schneiderhandwerk lernen, daraus wird nun erst einmal nichts.
Gescheiterte Ausbildung: Ab dem 1. Januar wollte Nurullah (r.) von Gabi Urban das Schneiderhandwerk lernen, daraus wird nun erst einmal nichts.

Eigentlich war alles schon unter Dach und Fach: Der 34-jährige Nurullah aus Afghanistan wollte bei Gabi Urban das Schneiderhandwerk lernen, der Arbeitsvertrag war bereits unterschrieben. Doch noch bevor er am 1. Januar mit der Ausbildung beginnen konnte, machte die bayerische Staatsregierung dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung.

Am 6. August 2016 ist das neue Integrationsgesetz in Kraft getreten. Flüchtlinge haben demnach Anspruch auf bis zu fünf Jahre Duldung, sofern sie einen Ausbildungsplatz vorweisen können. Für viele Betriebe aus dem Handwerks- und Gastronomiebereich war diese Regelung interessant, weil es seit Jahren schwer ist, Azubis zu finden. Seit einigen Wochen unterläuft man in Bayern jedoch die neue Regelung. Vielen Auszubildenden droht somit die Abschiebung, Firmen und Wirtschaftsverbände sind verärgert.

Das seit Anfang des Jahres durchs Bayerische Innenministerium ausgerufene Arbeitsverbot für Flüchtlinge mit einer geringen Aussicht auf Bleibeperspektive trifft nun auch Nurullah aus Moosburg. Der 34-jährige Afghane hat in seinem Heimatland lange Zeit als Industrieschneider gearbeitet. Durch einen Freund wurde er auf den Schneiderbetrieb von Gabi Urban aufmerksam. Dort konnte man eine Aushilfe gut gebrauchen, wie die Unternehmerin erzählt: „Nurullah hat im Oktober bei uns für zwei, drei Wochen hospitiert.“ Urban war vom Geschick des Afghanen überzeugt und erwarb eine Ausbildungserlaubnis bei der Handwerkskammer. Die Behördengänge nahm ihr Flüchtlingshelfer Reinhard Kastorff ab. Schließlich wurde der Vertrag unterschrieben, ab 1. Januar 2017 sollte die Ausbildung für Nurullah starten. Doch dann klingelte das Telefon bei Gabi Urban, am Apparat das Landratsamt Freising: Nurullah habe keine Arbeitserlaubnis mehr. Der Ausbildungsvertrag war damit nichtig.

 

Die bayerische Regierung bedient sich hierbei eines Schlupflochs: Bei den Verhandlungen zum Integrationsgesetz wurde zur 3+2-Regelung ein Nachsatz eingefügt. In Paragraf 60a des Aufenthaltsgesetzes steht demnach: Die Duldung „ist zu erteilen, wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“. Dieser Zusatz war eigentlich für Extremfälle gedacht: Sollte kurz vor dem bereits gebuchten Abschiebeflug ein Ausbildungsvertrag auftauchen, soll das die Abschiebung nicht verhindern. Bayern interpretiert dies jedoch viel weiter: Eine „konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung“ liege demnach bereits vor, wenn das Amt den Antragsteller aufgefordert habe, einen Pass zu beantragen. Das allerdings betrifft sehr viele Flüchtlinge, die vor oder nach der Einreise ihre Papiere wegwerfen – aus Angst vor einer Abschiebung.

Auch Nurullah hat einen neuen Pass beantragt. Einen Abschiebebescheid hat er bislang nicht erhalten. Für Urban ist das Arbeitsverbot unverständlich: „Da kommt jemand, der sich selbst um die Ausbildungsstelle gekümmert hat, gutes Basiswissen mitbringt, arbeiten will und dann sowas!“

Zudem verärgere es sie, dass durch das Arbeitsverbot Unternehmern reihenweise die Azubis weggenommen würden, mit denen man fest gerechnet habe. „Wir könnten Nurullah momentan gut gebrauchen. Im Dezember ist meine Meisterin gegangen, man merkt, dass eine Arbeitskraft fehlt. Stattdessen sitzt er daheim und hat nichts zu tun, obwohl er gerne arbeiten würde“, sagt Urban.

Gerade Unternehmen und Wirtschaftsverbände waren es, die die Politik im Zuge der Flüchtlingskrise in die Pflicht genommen hat, Asylbewerber in die Arbeitswelt zu integrieren. 20 Millionen Euro haben die Industrie- und Handelskammern beispielsweise in das Projekt „Ankommen in Deutschland“ investiert, in einem Integrationspakt hat sich Bayern dazu verpflichtet, bis 2019 etwa 60.000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu bringen. Dieses Ziel dürfte durch die vielen Arbeitsverbote schwer zu erreichen sein, fürchten Unternehmer.

Im Fall von Nurullah geht Reinhard Kastorff nun mit einer Münchner Anwaltskanzlei vors Verwaltungsgericht, Nurullahs Arbeitserlaubnis soll eingeklagt werden. „Wir hoffen weiterhin auf das Beste“, sagt Gabi Urban. „Nurullah ist zwar schüchtern, aber fleißig, und er gibt sich Mühe, Deutsch zu lernen.“ Momentan bleibt dem 34-jährigen nicht viel mehr übrig, als zuhause auf eine Veränderung zu warten. „Wir Afghanen bekommen zur Zeit nicht einmal mehr Deutschkurse an der Volkshochschule“, berichtet er. Nurullah versucht trotzdem auf dem Laufenden zu bleiben und sich selbst weiterzubilden.

 

Das Bayerische Fernsehen war für die Sendung
Das Bayerische Fernsehen war für die Sendung „quer“ zu Gast bei Gabi Urban, um über Nurullahs Geschichte zu berichten. Die Sendung lief am 19. Januar.

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