Gefangen im eigenen Körper

Die Inszenierung von „Geächtet“ im Residenztheater München brilliert durch ihre aktuelle Geschichte von einem Amerika, das innerlich zerrissen ist

GEÄCHTET/Residenztheater
Emily (Nora Buzalka) sieht in Amir (Bijan Zamani) einen Sklaven, der aufgrund seiner Wurzeln und seinem muslimischen Hintergrund gefangen ist. © Matthias Horn

Das Stück „Geächtet“ von Ayad Akhtar fand als gefeiertes und mehrfach ausgezeichnetes Werk aus Amerika seinen Weg ins deutsche Theater, wo es nun auch durch seine Aktualität und Ehrlichkeit besticht. Die zunächst primitiv anmutende Handlung rückt dabei in den Schatten und lässt Platz für den eigentlichen Inhalt: Die Auswirkungen von 9/11 auf die amerikanische Gesellschaft, die zwischen Terrorismus und Vorverurteilung droht, zu zerreißen.

Ganz unvermittelt findet die Inszenierung von Regisseur Antoine Uitdehaag ihren Einstieg: Blitzschnell geht der Vorhang auf, das Licht an und man sitzt im Wohnzimmer der Kapoors. Das Publikum wird regelrecht überrascht, aufgeweckt. Amir (Bijan Zamani), erfolgreicher Anwalt mit pakistanischen Wurzeln, und seine Frau Emily (Nora Buzalka), amerikanische Künstlerin, sitzen auf der weißen Couch in ihrem Loft in der Upper East Side von Manhattan und diskutieren über ihren gestrigen Restaurantbesuch. Sofort werden die Verhältnisse klar: Etabliertes, aufstrebendes junges Paar in New York mit Ambitionen. Und Kontrasten: Sie, eine leicht naiv wirkende und doch kluge Frau, die sich über Grenzen hinweg setzen will, weiter denkt und interpretiert – Er, ein Rationalist, der sich angepasst hat, nicht anecken will. Diese Eindrücke werden durch das gelungen authentische Bühnenbild (geräumiges, betont weiß möbiliertes New Yorker Apartment als Schauplatz, bei dem man sich fühlt, als säße man mit auf der Couch) und die passenden Kostüme (Emily im seidenen Morgenmantel, Amir mit gegeltem Haar und Anzug) anschaulich vermittelt.

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Emily (Nora Buzalka) und Abe (Jeff Wilbusch, rechts) versuchen Amir (Bijan Zamani) zu überreden, einen vor Gericht angeklagten Imam zu verteidigen. © Matthias Horn

Mit Eintreten des nächsten Protagonisten, Abe (Jeff Wilbusch), Amirs Neffe, kommt der Zerfall des von Amir mühsam aufgebauten Status ins Rollen. Abe bittet seinen Onkel darum, einen Imam zu verteidigen, der vor Gericht angeklagt wird, mit Moscheegeldern Terrorgruppen finanziert zu haben. Emily wünscht sich dasselbe: „Ist es dir denn egal, dass ein Unschuldiger im Gefängnis sitzt? (…) Überleg’s dir. Bitte. Mir zuliebe?“, und setzt Amir damit unter Druck. Der hadert – mit seinem Ego, das sich eigentlich vom Islam abgewandt hat, seiner Karriere und seinem Ansehen in der Kanzlei – und entscheidet sich am Ende doch dafür. Was folgt ist ein Artikel in der New York Times, der Amir und seine Kanzlei als Unterstützer des Imams erwähnt. In der Firma wird Amirs Hintergrund geprüft. Interessant in der Szene, aber auch im ganzen Stück, ist dabei, dass Emily – die Nicht-Muslimin – ständig den Islam verteidigt und bewundert, ganz im Gegenteil zu Amir, der vorgibt, nichts mit seiner Religion anfangen zu können und den Islam stark kritisiert. Emily hat den Zugang zum Islam über die Kunst gefunden und verarbeitet dessen Traditionen auch in ihren Bildern. Sie steht kurz davor, sich bei einer großen Ausstellung präsentieren zu können – die Chance dafür und den Kontakt zum schleimigen, ruppigen Kurator Isaac (Götz Schulte) hat sie Amir zu verdanken.

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Zum Showdown kommt es, als Isaac (Götz Schulte, links) und seine Frau Jory (Lara-Sophie Milagro) bei Emily und Amir zum Abendessen eingeladen sind. © Matthias Horn

Schließlich kommt es zum Showdown: Der jüdisch-amerikanische Isaac und seine dominante, afroamerikanische Frau – Amirs Arbeitskollegin Jory (Lara-Sophie Milagro) – sind bei Emily und Amir zum Essen eingeladen, Anlass ist Isaacs Zusage für die Ausstellung von Emily. Was anfängt mit Fenchelsalat und viel Wein, endet im totalen Chaos und Streit, als Amir und Isaac beginnen über Religion und Traditionen zu diskutieren. Die beiden werden gegenseitig immer lauter, stacheln sich an und man hat Angst, dass im nächsten Moment eins der Weingläser zerbricht und das weiße Loft rot färbt. Hier wird deutlich, dass – bei aller Rationalität, die er an den Tag legt – Amir doch nicht ganz von seinen Wurzeln trennen kann und Emotionen ausbrechen. Den stringenten Status Quo 24/7 sauber zu halten, gelingt ihm nicht. Auch beruflich und privat gerät sein Leben ins Wanken.

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Der anfängliche Smalltalk zu Arbeit und Alltag wird zu einer heftigen Diskussion über Religion und Tradition, bei der Amir die Fassung verliert. © Matthias Horn

Achtung Spoiler: Gekrönt wird das Dilemma, als Amir von Jorys Aufstieg in der Kanzlei – der eigentlich seiner sein sollte – und Emilys Affäre mit Isaac erfährt.

Antoine Uitdehaag zeigt mit seiner von Anfang bis Ende spannungsvollen Inszenierung von „Geächtet“ sehr treffend die Bredouille, in der sich Amir befindet, auf: In einer „fremden“ Gesellschaft funktionieren müssen und wollen, zwischen zwei Welten gefangen sein. Amirs Scherbenhaufen und Situation stellvertretend für die amerikanische Gesellschaft, die vor lauter Vorverurteilung und Misstrauen droht zu zerbrechen. Ein Land, das einstig von Auswanderern, Freiheitskämpfern und Querdenkern gegründet wurde und diese nun ausschließt. Besonders faszinierend ist auch, dass er mit Amir, Emily, Isaac und Jory vier höchst unterschiedliche und explosive Charaktere in einen Raum packt, auf Konfrontation setzt und so sehr viel Spannung erzeugt, da es nur eine Frage der Zeit ist, bis einer ausbricht. Gut ist außerdem, dass man mit nur fünf Darstellern im Gesamten der logisch aufbereiteten Handlung leicht folgen und sich so auf den wichtigen Inhalt und die Aussage konzentrieren kann. Das Zusammenspiel der Protagonisten ist sehr professionell und auf hohem Niveau, jeder einzelne wird seiner Rolle gerecht. Anfangs mag es schwer sein, den schnellen Dialogen zu Islam und Kunst zu folgen, dennoch wird mit „Geächtet“ im Residenztheater ein Meisterwerk inszeniert, das sowohl Kulturliebhabern als auch Kulturmuffeln gefallen wird.

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Am Ende steht Amir alleine da: beruflich und privat gescheitert, aufgrund seiner Herkunft, die er trotz aller Anstrengung nicht leugnen kann. © Matthias Horn

Weitere Informationen zum Stück finden Sie hier.

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