10.000 Kilometer durch Wüsten und Gebirge

Simon Müller fährt mit seinem Team „From Dust Till Dawn“ bei der Tajik Rallye mit


Vier Wochen lang durch entlegenste Landschaften im Orient fahren, neue Kulturen kennenlernen und den Erfahrungsschatz erweitern: Das alles will das Team „From Dust Till Dawn“, das im September an der Tajik Rallye von Hohenthann bis nach Duschanbe teilnimmt, erleben. Mit dabei ist auch der Moosburger Geologiestudent Simon Müller.
Eine außergewöhnliche Reise haben drei Erlanger Studenten da vor sich: Lukas Tremel, Max Hohl und Simon Müller fahren als Team bei der diesjährigen „Tajik Rallye“ mit, die sie von der niederbayerischen Gemeinde Hohenthann durch den Balkan, über den Bosporus bis zur iranischen Wüste und in den Orient nach Tadschikistan führen wird. Unwirtliche Landschaften, Wüsten und Pässe auf bis zu 4000 Meter Höhe im Pamir-Gebirge müssen sie dabei überqueren, ehe das Ziel Duschanbe – die Hauptstadt von Tadschikistan – erreicht ist. All diese Strecken wird das Team mit einem einfachen Toyota Corolla auf sich nehmen, denn eine der Hauptregeln der Tajik Rallye besagt, einen Wagen mit maximal 1,6 Liter Hubraum sowie einem Baujahr von 1998 oder jünger zu fahren.
Die Idee mitzumachen hatte Simon Müller aus Moosburg. „Ein Arbeitskollege, der schon letztes Jahr mitgemacht hatte, erzählte mir von der Rallye“, erklärt der 23-Jährige. Daraufhin habe er spaßeshalber zwei Freunde gefragt, ob sie nicht mitfahren wollen. Aus Spaß wurde dann Ernst, denn Lukas Tremel und Max Hohl (beide 24), die wie Müller ebenfalls Geologie in Erlangen studieren, waren sofort begeistert von der Idee.
Ein Name fürs Team wurde auch gleich gefunden: Da alle drei Fans des Films „From Dusk Till Dawn“ sind, taufte man diesen einfach um in „From Dust Till Dawn“, denn in der Wüste sei es ja staubig – da würde „Dust“ ganz gut passen, meint Simon Müller.
Die Tajik Rallye wurde im September 2009 von zwei Studenten ins Leben gerufen, die auf der Suche nach einem neuen Abenteuer für ihre Semesterferien waren. Das Ziel Tadschikistan stand fest, als die beiden nach den am wenigsten bereisten Regionen der Welt „googelten“. Bei der Rallye stehen jedoch nicht nur Spaß und Abenteuer im Vordergrund, es werden auch karitative Projekte unterstützt. So soll jedes Team mindestens 750 Euro an Spenden sammeln, zusätzlich wird das Rallyeauto am Ziel verkauft, der Erlös geht dann ebenfalls an soziale Einrichtungen. In diesem Jahr werden die deutsche Kinderstiftung „Hänsel und Gretel“ sowie die Caritas in Tadschikistan gefördert.
Die in etwa 10 000 Kilometer lange Route wird das reiselustige Team um Simon Müller durch außergewöhnliche Landschaften, Wüsten und Hochgebirge führen. Die drei Geologiestudenten sind deshalb bereits gespannt, Landschaft und Natur im Orient und Zentralasien zu entdecken. „In Turkmenistan gibt es ein Erdloch, aus dem Erdgas strömt, welches angezündet wurde und nun seit 30 Jahren brennt. Das soll besonders nachts schön anzusehen sein“, erzählt Müller. Auch auf den Parmir Highway, der auf über 4000 Meter Höhe liegt, und die Seidenstraße sei die Truppe gespannt. Doch auch Kultur und Menschen möchte das Team näher kennenlernen: „Ich war schon immer vom Orient und der arabischen Kultur fasziniert“, so Müller. „Besonders im Iran wollen wir viel sehen, etwa die vielen Moscheen in Isfahan.“ Ein bisschen sehe er sich da auch als „Botschafter“, um sich ein eigenes Bild von den Ländern zu machen, von denen man sonst immer nur „schlechte Nachrichten“ höre.
Zwei Länder müssen die Jungs leider auslassen: China und Afghanistan. Letzteres sei zu gefährlich, da im Hochgebirge das Militär wegen der Taliban stationiert ist. „Für China ist es sehr schwierig, an der Grenzregion ein Visum zu bekommen“, erklärt Simon Müller. Angst durch Länder wie den Iran, Turkmenistan, Usbekistan oder Kirgisistan zu fahren, hat das Team keine. „Wenn das mit der Türkei nicht gewesen wäre, hätte ich darüber nicht einmal nachgedacht“, sagt Müller. Übernachten wird man in Zelten, mal auch in Hostels oder Hotels. Und wie sieht es mit der Technik aus? „Reifen wechseln können wir alle“, scherzt Müller. „Ansonsten müssen wir uns mit den anderen Teams kurzschließen oder eine Werkstatt suchen.“ In Duschanbe werden die Teams dann von den Rallye-Gründern erwartet. Dabei kommt es nicht darauf an, als Erster am Ziel zu sein. „Sieger der Rallye ist, wer die besten Storys erzählen kann“, erklärt der Moosburger.
Am 4. September geht es dann los fürs Team „From Dust Till Dawn“. Bis dahin gilt es, noch fleißig Sponsoren für die Spendenprojekte anzuwerben. Simon Müller richtete deshalb einen Aufruf an Unternehmen und Privatleute aus Moosburg, deren Interesse nun geweckt worden ist, das Team zu unterstützen.
Spenden kann man auf einem extra eingerichteten Tool im Internet unter http://www.adventure-manufactory.com/de/tajik/fundraising?from-dust-till-dawn-spendenseite oder per E-Mail an simon.93@web.de. Weitere Informationen zum Team und der Rallye gibt es auf der Homepage http://www.tajik-rally.wix.com/fromdusttilldawn.

Die Seele verstehen

Kinder- und Jugendpsychiaterin Petra Stemplinger klärt auf und greift Tabuthema an

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Sabine Hauptmann (l.) und Petra Stemplinger vom Kinderkrankenhaus Landshut gestalteten den Vortrag zum Thema „Seele“.

 

Großes Interesse herrschte sowohl unter Fachleuten als auch bei Eltern beim Vortrag „Was ist die Seele und wie bleibt sie gesund“ am Montagabend im Landratsamt. Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Petra Stemplinger gab dabei Gelegenheit, den Begriff „Seele“ zu begreifen und erklärte, wie man Kinder schon früh für das Tabuthema sensibilisieren kann.

„Viele Kinder sind heutzutage großen Belastungen wie Schulstress, Trennung der Eltern oder Mobbing ausgesetzt“, sagte Landrat Josef Hauner in seiner Ansprache. Oft helfe es dabei schon, sich zu fragen, ob das Kind auf die richtige Schule geht, um eine Hauptbelastung zu nehmen. „Die Anzahl der Menschen mit psychischen Störungen geht nach oben. Dem Landkreis Freising ist es daher ein großes Anliegen, hier alles zu tun, um möglichst präventiv und frühzeitig tätig zu sein“, erklärte Hauner.

Petra Stemplinger ist Kinder- und Jugendpsychiaterin, Psychotherapeutin sowie ärztliche Leitung des Medizinischen Versorgungszentrums am Kinderkrankenhaus in Landshut. Zusammen mit der Diplomgestalterin und Kunsttherapeutin Sabine Hauptmann stellte sie den Zuhörern das von ihr entwickelte „ich.live-Modell“ anhand von Grafiken und einer Flip-Chart vor. Stemplinger ging zuerst auf den Begriff „Seele“ ein: Früher habe sich die Religion mit Fragen über die Seele beschäftigt, heute nehme eher die Wissenschaft diese Position ein. Stemplinger hatten sowohl Religion als auch die Wissenschaft in der Schule fasziniert, nun will sie als Psychotherapeutin beides zusammenführen. Dabei fand die erfahrene Psychiaterin erst über Umwege zu ihrem eigentlichen Beruf: Nach einem sozialen Jahr im Waldorfkindergarten folgte eine pädagogische Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und ein Philosophiestudium, bevor sie Medizin studierte und noch die Psychotherapeutenausbildung absolvierte.

„Alle Eindrücke, die wir erfahren, prasseln ungefiltert auf unseren Körper ein, und wir bringen sie automatisch verbal zum Ausdruck“, erklärte die Ärztin. Unbewusste Körpersymptome wie etwa Kopf-, Bauch- oder Gelenkschmerzen spiegeln so das Befinden der Seele wider. „Denken ist kein Automatismus, der Mensch kann es selber führen“, so Stemplinger. Aus Gedanken werden so Gewohnheiten, und daraus bildet sich der Charakter.
Bewusst habe sie sich mit ihrer Praxis im Kinderkrankenhaus angesiedelt, sagte Stemplinger. Denn, wenn die Ärzte bei Kindern mit Bauch- oder Knieschmerzen nach gründlichem Abchecken nichts finden, kämen sie zu ihr. „Die Patienten rennen meist von Arzt zu Arzt und ihnen wird gesagt, dass sie nichts haben. Dabei wurzelt die Ursache in der Seele.“ Wenn den Kindern dann gesagt wird „Du musst jetzt mal zum Psychiater“ sind die meisten beschämt und halten sich bedeckt. Mit ihrem ich.live-Modell möchte Stemplinger die Kinder für die psychotherapeutische Arbeit gewinnen, ihnen auf einfache Weise erklären, was die Seele ist und so einen Zugang zu ihnen finden.

In ihrem Modell zeichnet sie zuerst einen Menschen und teilt diesen in drei Komponenten ein: Denken, Fühlen und Wollen. „Das Fühlen spielt sich am ganzen Körper ab: im Bauch, Herz, durch die Atmung. Fühlen ist ohne Körper gar nicht zu denken“, so die Psychiaterin. „Der Kopf kann viel denken, aber ohne Wollen kann er nicht handeln.“ Petra Stemplinger erklärte, dass es befreiend wirke, wenn man von jemandem einen „Ausdruck“ für ein bestimmtes Gefühl bekomme, sodass man es „begreifen“ kann und sich verstanden und nicht alleine fühlt.

Den Begriff der Psychosomatik untermalte sie mit folgendem Beispiel: „Wir haben ein Problem, wenn wir plötzlich wieder darüber nachdenken, wie etwas funktioniert, das uns längst in Fleisch und Blut übergegangen ist.“ Damit spielte sie auf automatisierte Vorgänge wie Gehen, Sprechen oder Schwimmen an. „Wer ist der Chef in unserer Seele?“, fragte Stemplinger dann und zeichnete über dem Menschen die Worte Ego, Ich und Emo. Eine gesunde Balance der drei sei ein guter Kompass für das richtige Selbstbewusstsein. „Zu viel von einem ist nie gut.“

Schließlich erklärte Stemplinger die Bedeutung des Vertrauenskreises, der durch die Eltern, Geschwister und engsten Freunde gebildet wird. „Geschieht hier ein Vertrauensbruch, hat das Auswirkungen auf die Seele. Besonders gravierend ist ein Bruch bei den Eltern“, so Stemplinger. Den Spruch „Vertrauen ist gut, Kontrolle besser“ könne man im Seelischen umdrehen, Vertrauen sei die Basis für Bindungsqualität und eine gesunde Seele.

Zum Schluss ging die Psychotherapeutin auf die Frage „Was hält die Seele gesund?“ ein. Hier stemmen wieder drei Komponenten das Gefühl von Stimmigkeit: Verstehen, was mit einem passiert (Denken); Dem Geschehen Bedeutung zumessen (Fühlen) und es handhaben (Wollen). Stemplinger plädierte am Ende ihres Vortrages, dass Schule nicht nur ein Ort des Wissens, sondern auch der Erlebnispädagogik sein sollte. Richtige Konfliktlösung und auch eine frühe Sensibilsierung für das Thema psychische Gesundheit sollten dabei Bestandteil sein, um raus aus der Tabu-Ecke zu kommen. Im Anschluss war noch Zeit für Fragen, Austausch und Diskussion, die die Zuhörer auch rege nutzten. Die Mitarbeiter des Gesundheitsamts machten den Vortrag durch eine gelungene Organisation mit Saftcocktails und Früchten sowie einer Verlosung zu einem runden Abend, bei dem sehr aufs „Wohlbefinden“ geachtet wurde.

„Ich wünsche mir ein Happy End für die Welt“

Die 20-jährige Zahra Lalzad aus Afghanistan hat nach nur vier Jahren in Deutschland ihr Fachabitur bestanden

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Zahras Familie ist im Dezember 2011 nach Moosburg gekommen. In ihrem Heimatland Afghanistan wurde die Familie von der eigenen Verwandtschaft und den Taliban bedroht. Weil sie für ihre Töchter Zahra (20) und Nezhada (15) ein selbstbestimmtes und freies Leben wollten, entschlossen sich die Eltern alles zurückzulassen und die gefährliche Flucht nach Europa auf sich zu nehmen. Mittlerweile sind die Mutter und beide Töchter in Deutschland anerkannte Asylbewerber, der Vater geduldet, und leben in einer Wohnung in Moosburg. Nezhada besucht die achte Klasse des Gymnasiums in Moosburg, Zahra hat vor kurzem ihr Fachabitur an der FOS in Freising bestanden und möchte nun noch in die 13. Klasse gehen und ihr allgemeines Abitur machen. Im Interview spricht die 20-jährige Abiturientin über ihr Leben in Deutschland, die Schule sowie ihre Ziele und Wünsche für ein besseres Zusammenleben mit den Flüchtlingen.
Wie war das Ankommen in Deutschland und der Anfang in der Schule für dich?
Zahra Lalzad: Als ich 2011 nach Deutschland kam, konnte ich kein Wort Deutsch. Das war am Anfang sehr schwer für mich, denn wenn man in einem fremden Land ist, ohne die Sprache zu können, kann man ganz alltägliche Sachen wie in einen Laden gehen und Milch, Wasser oder Brot kaufen, nicht machen. Man kann keine Freunde suchen, dafür braucht man auch die Sprache. Ich bin dann durch Herrn Kastorff an die Realschule in Moosburg gekommen. Dort wurde mir gesagt, dass ich nicht am Unterricht teilnehmen kann, weil ich die Sprache nicht beherrsche. Dann habe ich mit ihnen auf Englisch geredet und gefragt, ob sie mir etwas Zeit geben können, um die Sprache zu lernen. Sie gaben mir sechs Monate und sagten mir, falls ich das Gespräch, das ich soeben mit ihnen auf Englisch führe, dann auf Deutsch führen kann, werden sie mich aufnehmen.
Wie ging es dann weiter?
Zahra: Ich habe privaten Deutschunterricht in Mauern genommen, da bin ich vier Mal die Woche immer mit dem Fahrrad hingefahren. Zuhause habe ich jeden Tag fünf Stunden Deutsch gelernt und wurde dann nach sechs Monaten im Juli als Gastschülerin in die 8. Klasse der Realschule aufgenommen. Auch in der 9. Klasse war ich noch als Gastschülerin eingeschrieben, in der 10. Klasse wurde ich dann als normale Schülerin eingestuft, da ich im Jahreszeugnis alle Noten-Kriterien dafür erfüllt hatte.
Wie ging es dir mit dem Lernen der deutschen Sprache?
Zahra: Es gab immer wieder Schwierigkeiten in der Schule, oft habe ich die Lehrer nicht verstanden und musste dann zu Hause alle Wörter, die ich aufgeschrieben hatte, noch mal im Wörterbuch nachschlagen. Wir hatten damals auch keinen Internetzugang oder Computer zuhause. Ich habe immer versucht ruhig zu bleiben, auch wenn es stressig wurde. Meine Eltern haben mich immer aufgemuntert und gesagt: „Das geht schon Zahra, es wird nicht immer so bleiben.“ Das hat mich motiviert weiter zu machen. Dann habe ich die 10. Klasse geschafft. Ich hatte damals private Nachhilfe in Deutsch und Mathe. Im Abschlusszeugnis hatte ich eine Vier in Deutsch und konnte auf die FOS gehen. Jetzt habe ich die 12. Klasse gemacht, ohne Nachhilfe. Ich verstehe noch immer ein paar Sachen nicht, mittlerweile kann ich mir die Dinge aber selbst aus dem Kontext erschließen.
Wie wurdest du von deinen Mitschülern aufgenommen?
Zahra: Wir haben uns erst lange gegenseitig angeschaut. Ich hatte keine großen Erwartungen, dass sie nett zu mir sind oder so, aber ich habe sehr schnell Freunde gefunden. Das war kein Problem, weil ich immer auf jeden zugegangen bin und ein bisschen auf Deutsch oder Englisch oder mit den Händen versucht habe, zu reden. Es gab aber auch Situationen, in denen ich gemerkt habe, dass ich noch nicht wirklich hier her gehöre. Es war aber nie jemand gemein zu mir.
Und wie haben sich deine Lehrer dir gegenüber verhalten?
Zahra: Meine Lehrer waren immer sehr hilfsbereit, haben mir oft Tipps gegeben, was ich machen soll und wie ich etwas lernen soll. Sie hatten zwar noch keine Erfahrung mit Leuten, die kein Deutsch können, aber sie konnten mir trotzdem helfen. Manchmal hat man aber auch gemerkt, dass nicht alle Lehrer diese Einstellung hatten, eine Lehrerin hat mal zu mir gesagt: „Du kannst das nicht, du musst auf die Hauptschule, das schaffst du sowieso nicht.“ Dann habe ich sie nur angelächelt und gesagt: „Doch, ich weiß, dass ich das kann.“ Eigentlich wollte ich aufs Gymnasium gehen, aber ich wusste, dass das zu schwer für mich sein würde. Bei der Realschule war ich mir jedoch sicher, dass ich es schaffe.
Zum Deutschlernen noch mal: nach viereinhalb Jahren, wie geht es dir nun im Vergleich zum Anfang?
Zahra: Ich merke, dass ich mich jedes Jahr verbessere. Im ersten Jahr konnte ich nur „Wie gehts“ oder „Hallo“ sagen. Anfangs habe ich nur etwa zehn Prozent verstanden, wenn ich mich mit Leuten unterhalten habe – nun verstehe ich alles! Auch früher in der Schule habe ich wesentlich mehr lernen müssen als heute. Schwierig ist es aber immer noch mit Fachwörtern, wenn ich zum Beispiel in der Zeitung lese oder im BGB, was ich für das Fach Rechtslehre in der 12. Klasse gebraucht habe. Ich verstehe die einzelnen Wörter, aber nicht den Zusammenhang. Im Alltag merke ich, dass ich mich verbessert habe und das freut mich. Deshalb versuche ich auch, mich viel mit anderen zu unterhalten und viele deutsche Bücher zu lesen.
Wie war das in deiner Familie? Hast du mit deiner Schwester Nezhada auch deutsch gesprochen?
Zahra: Ganz am Anfang haben wir nur persisch geredet, aber mittlerweile reden Nezhada und ich zu Hause nur noch deutsch. Das ist mir gar nicht bewusst gewesen und ich war ganz überrascht, als es mir aufgefallen ist! Aber das ist einfach so passiert, mit meinen Eltern reden wir trotzdem nur persisch, außer wir beschließen, ab jetzt reden wir für ein, zwei Stunden nur Deutsch!
Wie war die Umstellung von der Schule in Afghanistan auf die in Deutschland?
Zahra: In Afghanistan war ich auf einer Privatschule mit Unterricht auf Englisch. Das war schon leichter für mich. Und vieles war anders, anfangs wusste ich zum Beispiel nicht, was eine Ex ist, sowas gibts bei uns nicht. Ganz am Anfang in der 9. Klasse kam die Lehrerin mit Spickbremsen in die Klasse, und alle hatten plötzlich totale Panik. Ich stand nur da und wusste nicht, was vor sich geht.
Wie liefen die Prüfungen in deiner afghanischen Schule ab?
Zahra: Bei uns waren die immer angekündigt. Hier muss man eine bestimmte Anzahl an Punkten haben, um eine bestimmte Note zu bekommen. Bei uns konnte man in die nächste Klasse vorrücken, wenn man in allen Fächern eine gewisse Note hat. In Afghanistan gibt es kein Gymnasium oder eine Hauptschule, da gibt es nur eine Schule für alle. Hier braucht man immer für alles einen gewissen Schnitt. Im Nachhinein bin ich aber sehr froh, dass ich das alles geschafft habe. Wenn man etwas erreichen will, muss man sich – egal wo man herkommt – hinhocken und lernen, das kommt nicht von alleine.
Wie findest du unser Schulsystem in Bayern?
Zahra: Ich finde das Schulsystem in Bayern nicht in Ordnung. Wenn man in der Grundschule ist, muss man sich so anstrengen, dass man ins Gymnasium kommt oder in die Realschule. Das ist schon ein bisschen diskriminierend, wenn man zum Beispiel hört „ach, die geht nur auf die Hauptschule“. Ich finde es traurig, dass man zwischen Kindern so einen Unterschied macht. Wenn man Jura oder Medizin studieren möchte, braucht man einen NC von mindestens 1,2 – aber wer kann garantieren, dass jene, die in der Schule so gut waren, dann auch später im Berufsleben in diesem Bereich gut sind oder dafür geeignet sind. Später gibts nichts mehr, was man einfach auswendig lernen muss, dann zählt, was von dir selbst kommt.
Um sich mal ein wenig vom Schulischen zu entfernen: Wie hast du dich in Deutschland am Anfang zurechtgefunden?
Zahra: Ganz am Anfang habe ich immer auf die Beine von anderen Mädchen geguckt. Alle hatten kurze Röcke und Shorts an, das kannte ich nur aus Filmen. Hier sieht man ja oft fast den Po – das war für mich sehr seltsam. Aber ich habe mich daran gewöhnt und trage mittlerweile auch kürzere Shorts und Röcke. Außerdem ist es hier sehr grün und die Leute tragen kein Kopftuch. Bei uns musste man als erwachsene Frau eins tragen. Es ist hier sehr sauber und die Kultur und alle Läden sind sehr verschieden.
Was schätzt du an Deutschland?
Zahra: Die Meinungs- und Religionsfreiheit. Das finde ich sehr gut und es ist der Hauptgrund, warum ich hierbleiben möchte. Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, ein Kopftuch zu tragen und das zu tun, was mein Mann mir sagt. Ich könnte zum Beispiel auch nicht einfach nach Afghanistan gehen und sagen, dass ich eine andere Religion habe. Diese Freiheit gibt es dort nicht. Wenn ich dort für Frauenrechte und andere Dinge einstehe, auf die Straße gehe oder ähnliches – dann ist mein Leben bedroht. Das würde keine Woche dauern. Hier ist das deutlich besser: Man hat Freiheiten, vor allem als Frau. Viel mehr als in Afghanistan. In Deutschland sagen auch viele Menschen, dass es noch keine Gleichheit zwischen Mann und Frau gibt, aber im Vergleich zu Afghanistan sind die Leute hier viel viel weiter. Das schätze ich sehr und deswegen fühle ich mich hier wohl.
Vermisst du bestimmte Dinge aus Afghanistan?
Zahra: Ja, natürlich. Es gibt nun mal Traditionen, mit denen ich aufgewachsen bin. Meine Eltern hatten als Akademiker in Afghanistan sehr viel Respekt und ein hohes Ansehen. Das ist hier natürlich nicht so. Uns kennt keiner und niemand hat ein besonderes Interesse an uns. Wir haben alles verlassen und fangen hier im Prinzip noch mal von vorne an. Aber man gewöhnt sich daran. Hier haben wir Freiheit und ich kann mein Leben so führen, wie ich möchte. Daher hat dieser Respekt nicht mehr einen sehr hohen Stellenwert für mich. Natürlich vermisse ich meine Freunde und auch unser großes Haus mit Garten. Ansonsten sind es eher Kleinigkeiten. Bestimmte Rituale oder Ähnliches. Man kann nicht genau beschreiben, was man vermisst, aber ich habe meine Heimat verlassen und das ist manchmal schon ein komisches Gefühl.
Weißt du was mit eurem Haus passiert ist?
Zahra: Ich glaube, es steht noch da, aber wir befürchten, dass die Dinge, die wir zurückgelassen haben, vielleicht geklaut worden sind. In Afghanistan kann jeder mit ein paar Waffen und ein wenig Macht in ein fremdes Haus spazieren und schon gehört es ihm.
Was sagen die Leute zuhause über die Lage in Afghanistan?
Zahra: Es ist wohl noch viel schlimmer geworden. Man kriegt es ja auch hier in den Nachrichten mit. Jeden Tag sterben Leute und es ist sehr gefährlich. Ich habe mitbekommen, dass deutsche Politiker sagen, es sei so gut wie sicher mittlerweile. Das ärgert mich sehr. Heute (das Interview wurde am 6. Juli, am Zuckerfest zum Ende des Ramadans geführt, Anm. d. Red.) ist in Afghanistan ein großer Feiertag, aber es gibt sehr viele Menschen, die nicht wie gewohnt feiern können, weil jeder Angst hat. Sie bleiben zuhause. Und ich weiß sehr gut, wie es ist, jeden Tag Angst zu haben. Dein Zuhause wird zum Gefängnis, das Leben macht keinen Spaß. Politiker, die fordern, afghanische Flüchtlinge wieder zurückzuschicken, sollten selbst mal eine Weile dort leben. Es ist ein sehr gefährliches Land.
Was hattest du für Pläne, als du nach Deutschland gekommen bist? Und haben sie sich geändert?
Zahra: Ja, ein wenig. Am Anfang war es mein Ziel, Jura zu studieren. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Die deutschen Rechtsbücher wie das BGB sind für mich immer noch sehr schwer zu verstehen. Eine Alternative ist Lehramt mit dem Hauptfach Englisch und als Nebenfach Psychologie oder Geschichte. Diese Fächer interessieren mich auch sehr. In Afghanistan wollte ich immer Jura studieren und Rechtsanwältin werde. Ich wollte für Menschen- und Frauenrechte kämpfen, aber ich denke, dass ich den Menschen in Deutschland auch ohne Jurastudium helfen kann. Ich arbeite jetzt schon manchmal als Dolmetscher bei anderen Asylbewerbern und es gibt zum Beispiel auch einen großen Bedarf an Lehrern für Ausländer. Das wäre natürlich gut für mich, weil ich selber in der Lage war und dies gut nachvollziehen kann.
Was sind deine Wünsche und Träume für die Zukunft?
Zahra: Zuallererst hoffe ich, dass es die Welt irgendwann schafft, in Frieden zu leben. Dass es überall Meinungsfreiheit, Nächstenliebe und Toleranz gibt. Dass alle Menschen zusammen für eine bessere Zukunft arbeiten. Dass die Menschen einander helfen. Für meine Familie wünsche ich mir, dass sich meine Eltern in Deutschland wohlfühlen und zufrieden sind. Sie haben alles verloren und zurückgelassen, in erster Linie für meine Schwester und mich. Für mein Land und alle anderen Länder dieser Welt, in denen Krieg ist, wünsche ich mir, dass sobald wie möglich die Kämpfe aufhören. Dass jeder Arbeit und genug zu essen hat. Ich wünsche mir einfach, dass eines Tages alle zufrieden sind und dass es so etwas wie ein Happy End gibt. Ich fände es toll, wenn jeder seine Religion im Herzen trägt, für sich selbst, ohne diese jemandem anderen aufzuzwingen.
Das sind aber viele Wünsche…
Zahra: Ich weiß, aber als das neulich in Orlando passiert ist, war ich wahnsinnig traurig. Ich habe mich wirklich hingesetzt und sehr lange überlegt: „Was kann man tun, damit so etwas aufhört?“ Ich glaube ein wichtiger Schritt wäre, einfach alle Waffen dieser Erde zu vernichten. Je mehr Waffen es gibt, desto mehr Kriege gibt es auch. Russland, Amerika und auch Deutschland verkaufen Waffen in kriegsgeschädigte Länder wie meines. Und dann erwarten manche Politiker, dass die Menschen zurückgehen und für ihr Land kämpfen. Ich möchte keinen Krieg und ich möchte nicht kämpfen. Niemand, der flieht, möchte das. Das müssen die Menschen verstehen.
Was könnte man deiner Meinung in Deutschland verbessern? Gerade für die Flüchtlinge?
Zahra: Da muss ich überlegen. Erstmal finde ich es toll, wie viel die Leute in Deutschland ehrenamtlich machen. Ich bin erstaunt, wie viele Menschen helfen, ohne etwas dafür zu erwarten. Ich wünsche mir ein wenig Geduld. Ich kenne es von mir. Man braucht eine lange Zeit, um sich hier zurechtzufinden. Man braucht Zeit, um hier glücklich zu sein und sich wohlzufühlen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Das ist ein langer Prozess. Die meisten Flüchtlinge kommen aus einem komplett anderen Kulturkreis, das allermeiste was sie hier sehen ist vollkommen neu für sie. Leute, die hier wohnen, können das manchmal nicht verstehen, weil sie eine solche Erfahrung noch nie gemacht haben. Deswegen fände ich es toll, wenn man ihnen ein wenig Zeit gäbe. Integration ist ein Prozess, der lange dauern kann. Natürlich passieren hier auch Dinge, die überhaupt nicht in Ordnung sind wie zum Beispiel die Silvesternacht in Köln. Keine Religion und Kultur erlaubt so etwas, man kann das nicht verallgemeinern. Es sollen nicht alle in einen Topf geworfen werden. Jede Person hat einen einzigartigen Charakter und so sollte man auch jeden einzelnen bewerten. Kriminelle und Idioten gibt es überall, auch unter den Flüchtlingen. Es gibt Analphabeten und Ärzte. Es gibt so viele Unterschiede und so viele verschiedene Herkunftsländer. Jeder Mensch ist anders.
Interview: Laura Schindler